Wer Frieden will

Niemand sehnt sich mehr nach Frieden als das ukrainische Volk. Niemand leidet mehr unter dem andauernden Krieg als das ukrainische Volk. Täglich verlieren die Menschen dort Angehörige, Kolleg*innen und Freund*innen, beweinen Väter, Brüder und Söhne, verlieren Zivilist*innen ihr Leben. Zu den Toten kommen die Verletzten und Versehrten an Körper und Seele, die Zerstörungen von Städten und Dörfern, die Verwüstungen in Natur und Landschaft, in Industrie und Landwirtschaft. Millionen mussten ins Ausland oder die Westukraine fliehen.

Das alltägliche Leben auf der gesamten Fläche der Ukraine ist in ständiger Bedrohung durch den russischen Raketenterror auf die zivile Infrastruktur. Luftalarme prägen den Alltag ebenso wie Trauerfeiern für die Opfer des Krieges. In jeder Familie hat dieser Krieg an jedem Tag und in jeder einzelnen Nacht eine traumatische Präsenz.

Die Menschen in der Ukraine bedürfen keiner Aufklärung über die Schrecken des Krieges. Ihre Friedenssehnsucht ist existenziell.

In der deutschen Debatte wird mitunter der Eindruck erweckt, dieses Land werde von seiner Regierung gegen dessen Willen zum Weiterkämpfen genötigt. Präsident Selenskyj trage mit unrealistischen Maximalforderungen dazu bei, einen nicht gewinnbaren Krieg in die Länge zu ziehen auf Kosten seines Volkes bzw. ohne sich dessen Einverständnisses zu vergewissern. 

Wer die Möglichkeit dazu hat, das Risiko und die Mühe nicht scheut, in die Ukraine zu reisen um dort einige Tage unter ganz normalen Menschen zu sein, wird diesen Eindruck nicht bestätigen können. 

Die Ukraine scheint trotz des unermesslichen Leid des Krieges geeint in der Entschlossenheit, dem Aggressor nicht nachzugeben. Dies nicht, weil man dort Fehleinschätzungen der militärischen Lage unterliegt. Überall wird man hoffnungsvoll und drängend auf die Leopardpanzer angesprochen. Denn jeder Tag reißt neue Lücken in die eigenen Kampfmittel. Und natürlich wissen sie, dass diese Panzer keine Gamechanger sind. Aber trotzdem zählt jeder Einzelne.

Die Entschlossenheit speist sich aus der tiefen, leidvollen und intergenerativen Kenntnis des Aggressors und seiner Herrschaftspraxis. Es ist dort schlicht nicht vorstellbar, jemals wieder unter der Kontrolle oder auch nur unter dem bestimmenden Einfluss Russlands leben zu müssen. Jeden Tag aufs Neue versendet sich über das russische Fernsehen das menschenverachtende Menschenbild der dortigen Machthaber und deren Geschichtsmythos von der Ukraine als legitimen Teil Russslands, versendet sich die totale Negation der Existenz einer unabhängigen Ukraine, ihrer Kultur und Lebensweise. Jeden Tag sendet Russland neben Raketen und Soldaten, seine Drohungen und seinen kolonialen Blick in der verrohten Sprache der dortigen Polit- und Fernsehgrößen. 

Die Ukrainer*innen benötigen keinerlei Phantasie dafür, sich auszumalen, was im Land passiert, wenn Russland in der Ukraine triumphiert. Denn sie kennen das schon aus der Geschichte der Beziehungen zu Russland. Jede Familie kennt das über viele Generationen. Politische Morde, Säuberungen, Verschleppungen, Diktatur, Russifizierung.

Deshalb verteidigen sie sich kämpfend. 

Man kann das kritisieren. Man kann sich wünschen oder auch fordern, die Ukraine solle in pazifistischer Tradition zivilen Ungehorsam und gewaltfreien Widerstand bei Besatzung üben, weil die auf lange Sicht, so die Hoffnung, auch erfolgreich sein können und weit weniger Menschenleben kosteten. Die dann angeführten Beispiele wie Gandhi in Indien, Mandela in Südafrika oder King in den Vereinigten Staaten sind ohne Zweifel tief beeindruckend und haben auch meine politische Sozialisation entscheidend mit geprägt.

Dies waren mindestens teilweise erfolgreiche Praxen der gewaltarmen Konfliktaustragung innerhalb von Gesellschaften und im Fall von Indien gegen die langjährige britische Kolonialmacht. Nur: Keine dieser Bewegungen entstand und war erfolgreich im Augenblick des Angriffskrieg eines benachtbarten Staates. Das allein spricht noch nicht gegen eine solche Strategie. 

Nur müsste die in jedem Fall von einem angegriffenen Staat selbstbestimmt verfolgt werden und kann ihm nicht von aussen aufgenötigt werden. Dafür aber müssten Gesellschaften lange vor dem Ernstfall sich für genau diese Strategie im Falle eines Überfalls entschieden haben und sich entsprechend vorbereiten. Ob sie im Falle eines Überfalles erfolgreich sein könnte in dem Sinne, dass die Besatzer sich aufgrund der standhaften Weigerung weitester Teile der Bevölkerung mit der Besatzungsmacht zusammenzuarbeiten, irgendwann entnervt zurückzögen, weil die Besatzung mehr kostet als sie nützt, wie lange sich ein solcher gewaltfreier Widerstand aufrechterhalten ließe, etc., muss unbeantwortet bleiben. Es gibt bisher kein historisches Beispiel.

Wofür es Beispiele gibt, ist die Ersetzung (Ermordung, Deportation ) verdächtiger Funktionseliten durch Russifizierung, was das Konzept der Nichtzusammenarbeit mit dem Aggressor vor dem konkreten historischen Hintergrund nicht erfolgversprechender erscheinen lässt. 

In jedem Falle bleibt: Es steht einzig in der Abwägung des Angegriffenen, über die Art und das Maß der eigenen Verteidigung zu entscheiden. 

Im Wesentlichen geht es in den derzeitigen Debatten aber nicht um Pazifismus, sondern um die Forderung, so schnell wie möglich auf dem Verhandlungswege zunächst einmal zu einem Waffenstillstand zu kommen und dafür intensiv Gespräche allen anzubieten, die dazu etwas beitragen können. Diese Forderung wird verknüpft mit der anderen Forderung eine „Eskalation der Waffenlieferungen“ einzustellen bzw. nicht zuzulassen.

Natürlich gibt es auch die Forderung, überhaupt keine Waffen zu liefern oder keine schweren Waffen zu liefern oder nur eindeutige Verteidigungswaffen zu liefern. Das Feld ist breit und etwas unübersichtlich.

Jede Verhandlung um einen Waffenstillstand müsste aber neben dem Schweigen der Waffen noch andere zwingende Festlegungen enthalten, soll ein Waffenstillstand mehr sein als ein taktische Kampfpause, die es beiden Seiten ermöglicht, sich militärisch und logistisch zu konsolidieren. Denn dann wäre ein Waffenstillstand nicht mehr als ein Teil des Krieges. 

Ein Waffenstillstand müsste daher auch Festlegungen enthalten, die sicherstellen, dass genau diese Konsolidierung nicht stattfindet und keine Seite die Zeit nutzt, um die eigene Ausgangslage zur Weiterführung des Krieges zu verbessern. Sie müsste gleichzeitig Regelungen enthalten, die ebenso nachprüfbar festlegen, dass Russland eine solche Waffenruhe nicht dazu nutzt, sich in den besetzen Gebieten auch im nichtmilitärischen Bereich weiter zu konsolidieren. 

Sind solche Festlegungen nicht zu erzielen und ihre Einhaltung zu kontrollieren, dürfte ein solcher Waffenstillstand für keine Seite derzeit eine akzeptable Option sein. 

Solange ein solchermaßen konditionierter Waffenstillstand nicht ins Werk gesetzt werden konnte, führt Russland seinen Eroberungskrieg in der Ukraine unvermindert fort. 

In dieser Situation ist die Frage der Waffenlieferungen, die wir voll verantwortlich treffen müssen, eine Entscheidende. 

Denn dies dürfte auch den Gegnern weiterer Waffenlieferungen klar sein und sie werden es bedacht haben: Werden die Waffenlieferungen eingestellt oder auch nur reduziert, verringert sich die ukrainische Kampfkraft, wird Russland jeden militärtaktischen Vorteil sofort nutzen, um die Situation zu seinen Gunsten zu verändern, womit seine Bereitschaft, in Verhandlungen über einen Waffenstillstand einzutreten, sich verringern wird.

Die Einstellung oder Verringerung von Waffenlieferungen bedeutet unweigerlich eine entscheidende Kräfteverschiebung zugunsten Russlands. Sie setzt einseitig die Ukraine unter Druck, nicht aber Russland. Wahrscheinlicher ist, dass es Russland in diesem Fall sogar gelingen kann, einige seiner Kriegsziele tatsächlich zu erreichen und weite Teile der Ukraine zu annektieren.

Dass in der Ukraine dann Frieden einzöge, wenn auch unter teilweiser russischer Besatzung, könnte eine trügerische Hoffnung sein. Russland wird weitgehende Säuberungen veranlassen, die teilbesetzte Ukraine sich möglicherweise auf Strategien asymmetrischer Kriegführung einstellen und einen Partisanenkrieg weiterführen. Denn wie eingangs geschildert. Ein Leben unter russischer Herrschaft ist keine Option.

Selbst wenn es Russland gelänge dies zu verhindern. Es wäre kein Frieden, der einzieht, es wäre eine Gewaltherrschaft, eine völkerrechtswidrige Situation, die sich nicht heilen lässt und den Keim eines künftigen Krieges in sich trägt. Den Menschen in der Ukraine ist das taghell bewusst. Sie führen ihren Kampf auch deshalb. Denn ihre Kinder sollen diesen Kampf nicht erneut führen müssen.

Mitunter drängt sich die Frage auf, ob die Forderung nach Entziehung ausreichender, also dem Druck standhaltender, militärischer Unterstützung für die Ukraine bei Einigen nicht dem Kalkül geschuldet ist, die Ukraine in die Bereitschaft für einen Waffenstillstand zu nötigen, sie gleichermaßen zu ihrem „Glück“ zu zwingen. Manches liest sich, als handele es sich bei den Ukrainier*innen um eine eingebildete Nation, und dieser Krieg werden nur einer Einbildung wegen geführt. Die Ukraine müsse also nur zur Vernunft gebracht werden, wie ein größenwahnsinniges Kind, dem die Grenzen aufgezeigt gehören. Kein Wunder, dass Mütterchen Russland da die Geduld verliert. Wer den Konflikt so interpretieren sollte, dem sei tatsächlich nicht nur deshalb dringend eine Reise empfohlen.

Und nun, ein endloser Krieg mit unzähligen Toten bis einer nachgibt ?  Das ist keine Aussicht und keine Strategie. Vielmehr muss diplomatisch selbstverständlich intensiv an Bündnissen gearbeitet werden, die Russland zum Einlenken bringen, müssen weitere Sanktionen seine Kampffähigkeit schwächen, muss auch öffentlich an Nachkriegsperspektiven gearbeitet werden. Diplomatie wird letztlich den Ausweg weisen müssen aus einer Situation, wo ein Krieg sich festfrisst. Je früher, desto besser. 

Hinweis: Der Autor war Anfang Februar 2023 5 Tage in der westukrainischen Stadt Riwne. Der Bericht des Besuches kann nachgelesen werden unter folgendem Link:

https://www.berlin.de/ba-pankow/ueber-den-bezirk/patenschaft/artikel.1290138.php

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Nestbeschmutzung

zum Zwecke der Ermutigung. Meine LINKE hat die Krise, immer noch.

„Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Albert Einstein, angeblich

Das ist so. Alle wissen es. Manche sagen es offen, andere zwischen den Zeilen, wieder andere retten sich in Beschwörungen von Einheit oder in Appelle, alle sollten sich zusammenreißen. Klappe halten, intern diskutieren, Hausaufgaben machen. Dann wird schon alles gut. Die Zeit tut ihr Übriges. Irgendwann ist auch eine kaputte Uhr wieder on time. Man muss nur lange genug warten.

Die sanfte Transformation einer gescheiterten Versuchsanordnung in eine erfolgreiche, ohne harte Brüche, ohne Trennungen und Neuerfindungen ist aber eine Illusion, die vielleicht einzelne noch in die Rente rettet, dem Gesamtladen aber nur als Sterbebegleitung dienen kann.

Posten machen Leute, Leute machen Parteien

Ein Großteil der Abgeordneten und auch langjährige fest angestellten Mitarbeitende der Fraktion und der Parteizentrale sind befangen und damit gefangen in den Konfliktlinien der vergangenen Jahre, die immer Konfliktlinien von Personengruppen waren und bleiben werden. Das ist wie in Familien, häufig unauflöslich.

Es braucht dringend Personen sowohl an der Parteispitze als auch in den Leitungspositionen der Fraktion, die nicht in überkommenen Loyalitätsbeziehungen gefangen sind, die nicht sofort überall Reflexe auslösen und die gleichzeitig mit einer großen inneren Stärke die notwendigen inhaltlichen Diskussionen tatsächlich im doppelten Wortsinne führen wie auch ganz grundsätzlich sicherstellen, dass nicht erneut informelle Machtstrukturen und taktische Bündnisse die inhaltliche und personelle Weiterentwicklung der Partei lähmen.

Was den Parteivorstand angeht, haben es die Delegierten im Ende Juni in der Hand. In der Fraktion hilft wohl nur eine Palastrevolution. Von außen ist jedenfalls nicht erkennbar, das handelnde Personen erkannt haben, dass sie im Laufe der Jahre zum Teil des Problems geworden sind.

Reaktions- und Handlungsmusternde

Aussitzen und ausmanövrieren. Don´t believe the hype. Das scheint ein lang gepflegtes Muster in der Linkspartei zu sein. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Es geht nicht um hektische Reaktionen, es geht nicht um das pure Auswechseln von Personen, ohne das die der Krise zugrunde liegenden Probleme bearbeitet sind.

Es geht darum zu begreifen, das zur Bearbeitung von Problemen auch der Wechsel von Personen in der Regel dazu gehört, weil Ideen, Denkweisen und Praxen sich nicht selbst realisieren, sondern immer nur durch das Handeln konkreter Personen. Die Personenkonstellation, die eine Krise zu verantworten hat, wird nicht die Personenkonstellation sein können, die aus ihr herausführt. Die Akteure des machttaktischen Bündnisses, des sogenannten Hufeisen müssen nach Hause gehen, praktisch oder metaphorisch. Jedenfalls sind sie nicht mehr Teil der Lösung.

Wenn das nicht endlich begriffen wird, wird nichts besser werden können.

Wirklichkeitsbezug

Die Linkspartei gleicht in weiten Teilen eher einer Glaubensgemeinsschaft als einem wertebasierten poltischem Diskursraum, der neugierig und zupackend auf sich stetig verändernde Impulse aus der Gesellschaft reagiert. Sie hat ihre Rechtgläubigen, selbsternannte Inquisitoren, sie kennt Renegaten, Abweichler und Verräter. Und vor allem kennt sie die Bürokraten des Status Quo.

Dem entspricht häufig eine gebetsmühlenartige Kommunikation, bei der man schon vor der Reaktion auf ein Ereignis weiß, wie die Reaktion auf dieses Ereignis aussehen wird. Und wenn die Wirklichkeit dann doch einmal die Routine durchbricht, wird gequält drumherum fabuliert.

Jeder Glaubensgemeinschaft ist die Hybris der Unfehlbarkeit & des absoluten Wahrheitsanspruches eingeschrieben. Das Glaubensgebäude muss gegen alle Anfechtungen einer einbrechenden Wirklichkeit in seiner grundlegenden Statik verteidigt werden.

Dieser Modus muss durchbrochen werden. Wir wissen nicht, was die Welt zusammenhält. Wir haben immer nur Arbeitshypothesen. Es gibt immer nur Näherungswerte. Versuch, Irrtum, falsifizieren, verifizieren, die eigenen Thesen auf ihre Tragfähigkeit und Praxistauglichkeit abklopfend. Das muss der Betriebsmodus sein. Die Aufgabe ist nicht, die Wirklichkeit zu reframen, damit sie ins Programm passt. Die Aufgabe ist, die Wirklichkeit ernst zu nehmen und eher die eigene Praxis zu befragen als Medien zu beschimpfen. Parteien sollen wirksame Agenturen zu Modellierung gesellschaftlicher Praxis sein. Dafür müssen sie mit dieser Praxis verwoben sein, müssen sie ständig aktuelle Daten verarbeiten, müssen die eigenen Instrumente zur Datenerfassung, Datenverarbeitung überprüfen und anpassen. Sonst reden sie über die Veränderung einer Welt, die so nicht existiert. Folglich fühlt sich kaum jemand angesprochen, wirkt die Partei wie aus Raum & Zeit gefallen.

Fähigkeiten

Wer wie die Linkspartei den m.E. richtigen Anspruch erhebt, darauf zu bestehen, dass sich die wesentlichen Problemlagen unserer Welt nur dann lösen lassen, wenn wir das ökonomische Betriebssystem bei der Suche nach Lösungen nicht aussen vor lassen, der hat einen hohen Anspruch sowohl an die eigenen Fähigkeiten als im Hinblick darauf, welches Vorschussvertrauen er sich da erbittet.

Denn das Wechseln bzw. update des ökonomischen Betriebssystems in den Raum zu stellen, ohne eine fertige und nachgewiesen funktionierende Neuversion zu haben, macht Angst und trifft zunächst auf Ablehnung. Da braucht es noch gar keine Verweise auf historisches Versagen als SED. Das kommt obendrauf.

Die Gesellschaft wird solche tiefgreifenden Wandel nur solchen politischen Kräften überhaupt anvertrauen, die zuvor erwiesen haben, dass sie mit den Wechselfällen des Lebens auch im Tagesgeschäft situationsadäquat und lösungsorientiert umgehen können. Sie wird nur denen zutrauen mit den überraschenden Schwierigkeiten fertig zu werden, die reflektiert und selbstreflexiv diese Schwierigkeiten schon vorab auch zum öffentlichen Gespräch machen, anstatt sie zu verleugnen, schlicht Krisenlösungskompetenz zugeschrieben wird. Davon ist die Linkspartei sehr weit entfernt.

Wer die Gesellschaft so weitgehend verändern will, muss sich zunächst selbst sehr weitgehend verändern und eine Organsiations- und Diskussionskultur entwickeln, die angstfrei ist, die nicht mit Denkverboten agiert, deren Wertefundament sich im Alltag auch im Umgang untereinander jederzeit beweist, jedenfalls diesen Anspruch sehr ernst nimmt.

Und sie muss dennoch ganz klar in ihren Konturen erkennbar sein, ihre Debatten, die anziehend sind, transparent machen. Sie muss die Neugier weiter Teile der Gesellschaft an ihren Debatten wecken können.

Das selbstbezügliche Rechthaben, die „Wir gegen alle anderen“- Mentalität, das „Wir sind die einzige Partei die…“-Gehabe, die beinharten Beharrungskämpfe der Strippenzieher sind ein sicherer Weg in die Selbstisolation, in die erbärmlichste und radikalste Variante einer Glaubensgemeinschaft, die Sekte.

Charismatische Figuren und rethorische Talente sind eine schöne Sache. Aber sie bergen immer auch demobilisierendes Potential. Sie können gute Gesamtperformance verstärken, zum Glänzen bringen, aber nicht dauerhaft ersetzen. Sind sie zu dominant und geltungssüchtig, verlottern Parteien zu Wahlvereinen oder machen sie sich untertan. Die also werden keine Rettung bringen.

Die Linkspartei muss ihr eigenes Betriebssystem zunächst grundständig ändern, bevor sie wieder glaubhaft den Anspruch anmelden kann, gesamtgesellschaftlich gestalten zu können. Natürlich kann es sein, dass die Linke auch ohne das bald wieder dauerhaft über 5 % gehandelt wird, wenn die gesellschaftliche Lageentwicklung ihr in die Hände spielt. Das mag dann den Handlungsdruck verringern. Es ändert aber m.E. nichts an ihren strukturell ausgehärteten Disfunktionalitäten. Und geht es nicht darum, wenn man denn schon mal gewählt wird, auch einen Unterschied machen zu können ? Dafür muss man vorbereitet sein. Das ist die Linkspartei nicht.

In den letzten Jahren hat sich die Alterspyramide bei insgesamt sinkenden Mitgliederzahlen an der Basis erfreulich verbreitert. Das könnte ein Hoffnungszeichen sein, wenn es verstanden wird. Die Generation unter 45 Jahren sollte also jetzt auch die Ruder übernehmen in Bundespartei- und fraktion. Selbstbewusst und anspruchsvoll. Lasst Euch nicht bitten. Mistraut Euren Föderern. Meidet die Netzwerker.

DIE VERHÄLTNISSE

Die Verhältnisse,
In denen du
Nichts Neues über dich
Erfährst,
Die Verhältnisse,
Die dich kleiner machen
Als deine Freunde
Dich kennen,
Die Verhältnisse,
In denen du
Den Kopf einziehen
Und die Knie beugen musst,
Um stehen zu bleiben –
Diese Verhältnisse
Musst du
Verändern oder
Verlassen.

Heinz Kahlau

Ein Lehrstück

Zu den Wahlen des Bezirksamtes Pankow am 4.11.2021 durch die BVV Pankow

Was derzeit etwas untergeht: An diesem Abend wurden auf Vorschlag von 4 Parteien insgesamt 6 Bezirksstadträte gewählt, einer davon zugleich und zuerst als Bürgermeister, eine weitere als stellv. Bürgermeisterin. In Berlin gilt das Proporzprinzip. Und so arbeiten hier in den kommenden 5 Jahren zwei LINKE, zwei Grüne, eine SPD und eine CDU – Stadträtin in diesem Bezirksamt zusammen. Es gilt der Grundsatz: Das Bezirksamt spricht mit einer Stimme. Regierung und Opposition im parlamentarischen Sinne sind hier nicht angelegt und vorgesehen. Aber es gibt im Vorfeld dieser Wahlen immer und überall in Berlin Verhandlungen über die Bildung sogenannter Zählgemeinschaften, die in der BVV und im Bezirksamt auf längere Sicht gemeinsam Themen voranbringen wollen. Es geht um inhaltliche Festlegungen einer Zusammenarbeit und die Verteilung der bezirklichen Ämter auf die Vertreter und Vertreterinnen der einzelnen Parteien.

Die Debatte der vergangenen Tage war eine auf eine Person zugespitzte Debatte. Das ist normal. So läuft der Medienbetrieb und es dient der Komplexitätsreduktion. Um einen weißen, älteren Mann, der nicht vom Amte lassen kann und dafür auch mit dem Teufel paktiert, geht es hier aber nicht. 

Das Ganze ist keine One-Man-Show. Gremien, Kreisparteitage, Fraktionen von SPD und LINKE haben diesen Weg gebahnt, haben ihn beschlossen und sind ihn gegangen, nachdem Gespräche mit den Pankower Grünen über die Bildung einer Zählgemeinschaft (ZG) sehr gründlich aus schwerwiegenden Gründen gescheitert sind. Das hat sowohl die SPD als auch DIE LINKE je für sich so gesehen und entschieden. Es ist den Grünen als stärkster Fraktion mit eigentlich sehr weitem politischen Aktionsradius über LINKE und SPD hinaus, nicht gelungen, eine andere eigene Zählgemeinschaft zu bilden. Niemand war dazu bereit.
Erst im Ergebnis dessen hat sich die ZG aus LINKE/SPD, die am Ende das einzige Parteienbündnis war, das gebildet werden konnte, dazu entschlossen, nach Wegen zu einer Bezirksamtswahl zu suchen. 
Am Ende war klar, einen weiteren Bündnispartner im engeren Sinne würde es nicht geben. Hieraus konnte es, da die Grünen als Zentrum einer Bezirksamtsbildung durch eigenes Verhandlungsversagen ausgefallen waren, nur den Schluss geben, dass es jetzt die Aufgabe ist, im Rahmen vertrauensbildender Gespräche mit Verordneten im demokratischen Spektrum eine Stimmenmehrheit, die Ja-Stimmen und Enthaltungen beinhalten würden, zu organisieren. Das Modell war, eine Minderheiten ZG + Dritter, zu kreieren. Dies war gelungen, weil es im Berliner System nicht allein um einen Bezirksbürgermeister geht, sondern um ein Proporzbezirksamt mit jetzt 6 Stadträten, einschließlich Bürgermeister. Auf der Grundlage dieses Ergebnisses, dass selbstverständlich keiner Stimme der AfD bedurfte, ist dieser Weg beschritten worden. Weder die SPD, noch die LINKE, noch andere wären jemals in einen Wahlgang gegangen, der um eine Mehrheit zu erringen, auf Stimmen dieser Partei angewiesen gewesen wäre.

Der Malus dieses Konstruktes ZG+ ist zweifellos, dass diese Stimmenmehrheit nicht öffentlich nachgewiesen werden kann. Nebenabrede heißen deshalb so, weil sie zur Veröffentlichung nicht bestimmt sind. Und das ist jetzt tatsächlich auch ein Problem. Denn die öffentliche Debatte fragt nicht danach, ob es reale Abhängigkeitsverhältnisse zur AfD gibt, ob man in irgendeiner Weise auf diese Partei im politischen Alltagsgeschäft angewiesen sei, auch nicht mehr danach, ob es ohne die AfD eine eigene Mehrheit gegeben hätte. Die öffentliche Debatte fordert nun den eindeutigen Nachweis, ob man ausschließen könne, das auch Mandatsträger der AfD im Wahlgang xy für eine Person gestimmt hätten.
Dies kann man heute nur noch bei sehr breiten Bündnissen organisieren. Es ergibt aber keinen Sinn, solche Bündnisse aus Angst vor Kontaminierung durch vermeintliche, vergiftete Ja-Stimmen zu bilden, wenn man vorher weiß, dass diese Bündnisse den Wahlakt nicht überleben werden. Dies war hier der Fall.

Wenn es so ist, dass es reicht, dass die AfD behauptet, sie habe in geheimen Wahlen für xy gestimmt, wenn es ihr gelingt, vermeintliche Ja-Stimmen in Giftspritzen zur Verhinderung von politisch missliebigen Personen oder Bündnissen zu verwandeln, obwohl niemand anschließend in irgendeiner Weise oder auch vorher abhängig vom Stimmverhalten der AfD war; wenn das so ist, dann gibt es ein Problem im System der demokratischen Mehrheitsbildung. Dann wird der AfD unnötig eine Macht zugewiesen, die sie von sich aus nicht haben würde. Wenn demokratische Parteien beginnen zu glauben, sie könnten die AfD als Waffe zur Diffamierung des politischen Gegners einsetzen, dann übersehen sie, dass sie schon Teil des Spiels der AfD geworden sind. Deren ausschließliches Ziel ist es, das politische System durch zynischen Missbrauch mit seinen eigenen Waffen zu chaotisieren und zu delegitimieren.
Was es stattdessen braucht, ist eine klare Strategie gegen den realen Einfluss der AfD:
keine Zusammenarbeit, keine Abhängigkeiten schaffen, keine Absprachen, keine Aufwertung, Isolation immer und überall.
Wenn sie dann tut, was sie hier behauptet hat, getan zu haben, fragen: 
Wem nützt die Behauptung, wem schadet sie, wie plausibel ist die Erzählung, sind tatsächliche Abhängigkeiten entstanden ? 
Vielleicht ist das eine Möglichkeit, wenn die, in Teilen berechtigte Manöverkritik und die Empörungswellen ihre Energien aufgebraucht haben und wir vor der Frage stehen, wie wir umgehen mit den eigentlich breiten Bündnismöglichkeiten unserer Demokratie, die wir aber aus Angst vor vergifteten Stimmpfeilen der AfD nicht mehr ausschöpfen. 

Was ist ein souveräner Umgang mit dieser Partei, wie wahren wir unsere Bündnis- und Handlungsfähigkeit, obwohl diese Partei mal mehr mal weniger stark in unseren Parlamenten sitzt? Wird jeder, den sie gegen seinen Willen berührt zu einem politischem Zombie? Ist das richtig, notwendig oder fällt uns etwas Besseres ein?

Die Brandmauer zur AfD fällt nicht damit, dass die vergiftete Stimm-Pfeile über die Mauer schießt. Die Brandmauer fällt, wenn Türchen der Kooperation geöffnet werden oder wenn diesseits der Mauer die AfD zur Waffe im Kampf untereinander eingesetzt wird. Sie ist da bereits gefallen, wo die Glaubwürdigkeit von Vertretern der AfD inzwischen höher eingeschätzt wird, als die von SPD und LINKE. Sie ist da gefallen, wo der Plan der AfD und derer, die glauben, sie als Waffe einzusetzen zu können, aufgeht.

Vierkommaneun

Das Folgende ist weder konsistent und vollständig, noch objektiv und strukturiert. Es ist ein Debattenbeitrag, der um die eigene Unzulänglichkeit weiß. Er ist unausgegoren. Für guten Wein fehlen Muße und Vermögen.

Wer die LINKE zurückbringen will auf einen erfolgreichen Kurs (keine Ahnung, wie das geht), sollte zunächst vielleicht aufhören, seine Antworten aus dem Schützengraben der eigenen Gewissheiten abzufeuern und sich der Empirie widmen, sollte aufhören, die Antworten auf die Frage nach auf ihren Gebrauchswert aus dem internen Lagekampf destillieren zu wollen und sich der Antworten derer vergewissern, von denen sie gewählt werden und für die sie Politik machen möchte.

Wen meinen wir

Wer hat warum dieses Mal nicht die LINKE gewählt und wen warum stattdessen ? Wer sind diese „einfachen“ Leute, wer ist diese Arbeiterklasse, über die alle reden und wie groß ist sie (noch) ? Wie denken diese Menschen über sich selbst, über die Gesellschaft und ihre Stellung darin und was sind ihre Entscheidungsgründe bei Wahlen ? Wie blicken Sympathisanten der Partei auf diese und welchen Ruf genießt sie in den einzelnen Bundesländern und warum ? Welche Protagonist:innen der Partei kennen sie und wie bewerten sie die, die sie kennen ? Welches politische Programm einer linken Partei würde sie begeistern ?

Kann das zusammengetragen werden ?

Die Antworten auf diese und mögliche weitere Fragen müssen übereinandergelegt, gegeneinander abgewogen und können Teil strategischer Überlegungen werden.

Die von DIE LINKE Adressierten sind, so hört man, jene, die jeden Monat noch viele Tage am Ende des Geldes haben oder die nur gerade so, trotz aller Mühen, über die Runden kommen oder jene mit dem kleinen Wohlstand, dem Häuschen oder einer Rente, deren Besitzstandswahrung durch politische Zumutungen bedroht ist.

Vielleicht dürfen es aber auch jene sein, die selbst von diesen prekären sozialen Lagen nicht betroffen sind, aber gern und aufrichtig Verantwortung übernehmen wollen für soziale Gerechtigkeit, für Generationengerechtigkeit, für internationale Solidarität und für eine Beendigung des menschengemachten Klimawandels und Artensterbens. Bündnisse können ja nicht schaden.

Wie streiten wir

Ohne Schaum vor dem Mund wird vielleicht auch angemerkt sein dürfen, dass die am meisten geeigneten Orte der demokratisch-politischen Willensbildung einer Partei, von Debatten zu unterschiedlichen Standpunkten, in den dafür geschaffenen Strukturen zu finden sein werden.

Unbestritten dürfte ebenfalls sein, dass mit steigender Ausprägung des persönlichen medialen Aufmerksamkeitsprivilegs auch die Verantwortung für die Wahrnehmung dieses Privilegs gegenüber der Partei steigt, da jeder Auftritt dieser zugerechnet wird und dieses Privileg sich u.a. auch aus dem Mandat durch die Partei überhaupt erst ableitet.

Wenn es einen Weg gibt, widerstreitende Positionen künftig so zu verhandeln, dass im Ergebnis nicht öffentlich aufeinander eingeschlagen wird, sollte dieser Weg endlich gegangen werden. Wenn es diesen Weg mit Sahra Wagenknecht und einigen anderen nicht gibt, bleibt zur Wiederherstellung eines konsistenten und wiedererkennbaren Politikentwurfes der Partei nur Unterwerfung oder Ablösung.

Wer wie sie und etliche andere kein empathisches Verhältnis zur eigenen Partei hat, wer die Partei belehrt wie eine Gouvernante den lernschwachen Zögling, wie Tugendwächter die Sündigen, der muss sich nicht wundern, dass Wählende dieses Verhältnis gegenüber dieser Partei reproduzieren. Wer wählt schon eine Partei, die von den eigenen Leuten wahlweise als naiv/ als Arbeiterverräter/ als Kriegstreiber in aller Öffentlichkeit vorgeführt wird.

Denn Sahra Wagenknecht ist nicht allein. Es gibt leider noch viele andere ideologische  Zuchtmeister:innen.

Was frieden wir

Ich bin wegen des Kosovokrieges im Jahr 2000 in den PDS eingetreten als Pazifist und als jemand, der fand, dass Deutschland mit seiner Geschichte auf dem Feld des Krieges niemals mehr „Verantwortung“ übernehmen sollte und schon garnicht 10 Jahre nach der staatlichen Vergrößerung. Weitere 20 Jahre später leben wir in einer anderen Welt, sind um 20 Jahre Erfahrung reicher mit diesem Deutschland und der Welt. Meine Grundhaltung hat sich nicht verändert. Es gibt keine Menschenrechtskriege. Aber ich schaue genauer hin. Ich unterscheide, anders als viele Vorleute meiner Partei, nicht plump in Friedens- und Kriegsparteien, nicht in Friedenswächter und Kriegstreiber. Ich unterstelle anderen keinen Bellizismus, nur weil sie von meinen Positionen abweichende Positionen vertreten.

Ich empfinde die Selbstbeschreibung als einzige Friedenspartei lächerlich, anmaßend und sektenhaft. Sie ist eine intellektuelle Beleidigung und stößt völlig unnötig aber erfolgreich alle vor den Kopf und wirft sie in einen Topf, die genauso am Frieden interessiert sind wie die Friedenswächter, aber eben im Detail und im Einzelfall andere Mittel für geeignet halten, mitunter eben auch Militärische. Denunziatorisch wurde schon die Debatte um die Unterstützung der Chemiewaffenvernichtung im Mittelmeer im Jahr 2014 geführt. Matthias Höhn wurden wegen seines Aufschlags von Anfang 2021, linke Sicherheitspolitik neu zu diskutieren, entweder unlautere Motive unterstellt oder zum nützlichen Idioten der Bellizisten erklärt. Nicht weniger denunziatorisch verlief nun jene Debatte um das nachträgliche Mandat zur Evakuierung von Ortskräften aus Afghanistan.

In dieser real existierenden Welt wird es immer wieder Situationen geben, wo es tatsächlich im Interesse des Friedens richtig sein kann, Militär mit Mandat der UNO einzusetzen. Wenn die LINKE sich dieser Auseinandersetzung nicht in jedem Einzelfall stellt, weil sie Angst vor den eigenen Tugendwächtern hat, vor Fehlentscheidungen oder von Hass auf den Westen, den militärisch industriellen Komplex, die Nordatlantikbrücke oder wen auch immer geblendet ist, werden breite Wählerschichten sie weiterhin nicht aufs Spielfeld der Politik lassen wollen, allerdings nicht nur deshalb.

Wie agieren wir

Auch das Verhältnis der Partei zur Sphäre der Wirtschaft gehört dringend auf den Prüfstand. Es ist keine Gesellschaft denkbar, die allein vom Gelddrucken lebt. Natürlich gibt es hervorragende Wirtschafts- und Finanzpolitiker:innen in der Partei. Ökonomie ist für DIE LINKE schließlich mindestens auf dem Papier der Dreh- und Angelpunkt von Allem. Aber solange sie kapitalistische Ökonomie ist, will die Partei möglichst wenig mit ihr und ihre Vertreter:innen zu tun haben.

Dabei beschäftigt auch Teile der Unternehmer:innenschaft, Genossenschaften und Selbstständigen die Frage, wie Wirtschaften unter Bedingungen einer Postwachstumsgesellschaft, die den Planeten nicht länger auslaugt, sondern den Stoffwechsel mit der Natur resillient und nachhaltig gestaltet, aussehen kann, wie die gesellschaftliche Spaltungen zu überwinden sein könnten. Unternehmer:innen sind als Rollenträger nicht gut oder böse, genauso wenig wie Polizeibeamte oder Soldat:innen. Wer Teile des gesellschaftlichen Ganzen meidet, es nur aus einer ideologischen Brille betrachtet, wird das gesellschaftliche Ganze nicht ganz erfassen und verstehen. Vor Allem aber wird er sich mit den Menschen dieser Sphären nicht verbinden können, die doch ähnliche Fragen umtreiben, wie die Gesamtgesellschaft. Niemand muss deshalb Strukturen der Herrschaft, in denen diese Sphären funktional Rollen tragen, verdrängen. Beides ist möglich.

Eine politische Praxis im Umgang mit tagespolitischen Fragestellungen, die nicht immer aber doch sehr häufig den Eindruck hinterlässt, die LINKE lasse sich auf konkrete Fragestellungen nicht in der Sache ein, sondern beantworte solche Fragen zu schematisch, wird als Verbündete auch nicht adressiert und ist nicht interessant.

Prinzipienfestigkeit ist tatsächlich ein hohes Gut und eine notwendige Grundlage politischer Glaubwürdigkeit. Prinzipien kennen aber immer auch begründete Ausnahmen und, wollen sie Prinzipien bleiben, werden sie als solche auch hin und wieder in Frage gestellt. Ausnahmen schwächen ihre Glaubwürdigkeit nicht, sondern sprechen für Souveränität im Umgang mit einer höchst widersprüchlichen Realität. Die Sorge vor dem Verlust von Glaubwürdigkeit in bestimmten, vor allem ausssenpolitischen Feldern, führt in der Praxis zu häufig in den Dogmatismus.

Wer aber Prinzip und Dogma nicht mehr unterscheiden kann, hat die Kontrolle über seine Politikfähigkeit verloren.

Ein Teil der Erklärung des Verlustes von Stimmen bei der Bundestagswahl kann daher sein, dass die LINKE es immer wieder schafft, sich im Stile eines „Last man standig“- Pathos selbst in eine Art Pariaposition gegenüber den anderen Parteien zu bringen. Nach innen mag das wärmen. Sie wird dadurch aber von aussen als bündnisunfähig bzw. -unwillig wahrgenommen und erleidet dadurch einen Funktionsverlust. Dass andere Parteien das ausnutzen, kann man ihnen schlecht vorwerfen

Wie missverstehen wir uns

Mit großen Mehrheiten bekennt sich die LINKE auf Parteitagen immer wieder zum Prinzip einer Solidarität, die keine nationalstaatlichen Grenzen kennt und auch dem Individuum in seinem Recht gilt. Häufig wird dies unter der Überschrift „offenen Grenzen für alle“ thematisiert und damit intstrumentell von allen Seiten verkürzt. Denn gleichgewichtig argumentiert die LINKE für eine Politik der auch internationalen Solidarität zur Bekämpfung von Fluchtursachen in bezug auf Krieg, Umweltzerstörung, Menschrechtsverletzungen und Armut.  Nie ging es darum, möglichst viele Menschen „ins Land zu holen“ oder zur Flucht zu bewegen. Immer ging es darum, jenen, die fliehen mussten, konkret zu helfen. Der Verlust von Heimat ist ein millionenfaches Drama.

Der öffentlichen Verkürzung dieser Debatte sitzen aber viele innerhalb und ausserhalb der Partei reflexhaft auf. Einer Versachlichung der Debatte dienen solche bekenntnishaften Polarisierungen sicher ebensowenig, wie einer qualifzierenden Debatte um die Fragen, wieviel und welche Zuwanderung Deutschland braucht, verträgt, gesellschaftlich verarbeiten kann, wer kommen können soll und was dazu strukturell zu veranlassen ist im Hinblick auf die sozialen Sicherungssysteme, den Wohnungs- wie den Arbeitsmarkt und den Bildungssektor.

Wer öffentlich oder auch nichtöffentlich solche Verkürzungen bedient, schadet in erster Linie dem gesellschaftlichen Zusammenhalt, verstärkt Diskusblockaden, desavouiert aber natürlich auch die Glaubwürdigkeit und das Ansehen der Partei wie ihrer Debattenkultur.

Wie osten wir

Vielfach heisst es nun wieder, die Wahlergebnisse im Osten müssten mit einer verstärkten Hinwendung zum Osten pariert werden, der Osten müsse wieder stärker thematisiert werden. Die LINKE müsse Ihre Ostkompetenz zurückerlangen, ohne das klar wird, was genau damit gemeint ist.

LINKE können jedenfalls wissen, dass ein erklecklicher Teil ihres vormaligen östlichen Elektorats, wenn es nicht verstorben ist,  und nun anderen Parteien zuneigt, nicht wählt oder die AfD wählt, die LINKE nie, wenn überhaupt, überwiegend wegen ihrer linken Inhalte gewählt hat, sondern aus Ärger über die Nichtanerkennung ihrer Lebensleistung vor und nach 1989, als Anwalt der Opfer der neoliberalen Transformation der Wirtschaft  oder auch schlicht, um es den arroganten Wessis an der Wahlurne zu zeigen. Alle diese Gründe sind in der ostdeutschen Bevölkerung des Jahres 2021 noch vorhanden, die Zahl Ihrer Träger aber nimmt ebenso ab, wie die emotionale Aufladung und Entlastungsrichtung.

Die Zeit und das Alltagleben sind darüber hinweggegangen, der Ärger ist verflogen oder in Verbitterung erstarrt, die erwünschte Interessenvertetung war nicht ausreichend erfolgreich. Das Linke in DIE LINKE wird sichtbarer, allein schon durch ihre Westausdehnung, westdeutsches Personal, aber auch durch programmatische Weiterentwicklung. Westdeutsch geprägte antikapitalistisch zugspitzte Diskurse und Sprechweisen nehmen Ostdeutsche überwiegend nicht mit auf die Reise in die Zukunft. Das ist jedenfalls meine unmaßgebliche Erfahrung als Kommunaler.

Sie erwarten Antworten auf Alltagsfragen, auf die eigenen biographischen Perspektiven im Kapitalismus, Lösungskompetenz im eigenen Lebenshorizont. Durchaus tragisch ist, dass die LINKE all das zwar im Köcher hat, aber im Gesamtbild durch Anderes verhaltensauffällig wird.

Auch Gregor Gysi forderte nach der Wahl, die Bundestagsfraktion solle sich wieder stärker dem Osten zuwenden. Dagegen ist nichts zu sagen. Wenn sie das dort zuwenig getan haben, müssen sie nachsteuern. Allerdings sollte er die Reichweite von Bundestagsreden und Anträgen nicht überschätzen. Wenn die weder in Bild noch Glotze landen, wird es sich nicht rumsprechen.

Politik für den Osten zu machen, kann 2021 auch nicht mehr nur heissen, mit dem Label der Retter der Enterbten OST durch die politische Landschaft zu reiten. Der Osten ist da entweder schon weiter oder hat sich inzwischen politisch anders orientiert.

Ein auf Emanzipation angelegtes politisches Projekt soll Machtverhätnisse offenlegen und Mut machen sich selbst mit anderen gestaltend zu verbinden, Wege aufzeigen sich einzubringen, um politische und ökonomische Machtverhältnisse zu verändern und zu demokratisieren. Die Pflege eines wie auch immer gezeichneten Bildes vom Ostdeutschen als Opfer oder der paternalistische Ton der Interessevertretung dienen einem emanzipatorischen Projekt nicht, sondern reaktivieren politkonsumistische Erwartungen, sie demobilisieren die zivilgesellschaftlichen Gestaltungskräfte.

Es bleibt wichtig, für die Angleichung der Lebensverhältnisse einzutreten überall in Deutschland. Es bleibt auch wichtig, die besonderen Leistungen und Belastungen der Ostdeutschen zu würdigen. Es bleibt ebenso wichtig, allen zu widersprechen, die den Ostdeutschen wieder und wieder einen Freak-Status zuweisen.

Aber das Dilemma bleibt. Die LINKE ist auf Bundesebene wesentlich und unvermeidbar selbst verwestlicht, ohne zur Westpartei zu werden, was dort wiederum auch ein verfestigtes Problem ist. (Die CSU kann ihren Charakter als Regionalpartei nur deshalb bewahren, weil sie sich ausschließlich aus Bayern rekrutiert. Diese Option wollte die PDS 2007 mit der WASG nicht ziehen ). Aber selbstverständlich verändern sich dadurch die Perspektiven,Themen, Sprechweisen und Wahrnehmungen. Ein Zurück in die Zukunft wird es nicht geben, auch nicht in der Wahrnehmung der Ostdeutschen.

Der Aufstieg und die Etablierung der AfD besonders im Osten ist Ausdruck einer ökonomisch und politischen grundierten, zunehmend verfestigten mentalen Melange bestimmter Prägungen aus DDR-Zeiten als auch der existenziellen Brüche, realer wie symbolischer Deklassierungen und demographischer Verwerfungen der Nachwendejahre. Der Veränderungsstress und die Wahrnehmung des dauerhaften Zurückgesetzt- und Zukurzgekommenseins finden im nationalistischen Abschließungsdiskurs der AfD ein regressives Resonanzangebot, dass die LINKE aus programmatischen Gründen nicht machen kann.

Das “System“ und seinen Agenturen, die Medien und Parteien bilden für viele dieser Menschen nicht mehr das Referenzsystem. Sie haben sich davon abgekoppelt von den hegemonialen Diskursen und entlasten sich damit von den Zumutungen und Deklasserierungen dieser Diskurse. Sie werden, gestützt durch socialmedia-Angebote, Teil anderer Deutungsgemeinschaften, die regional ihrerseits hegemonial im unmittelbar sozialen Bezugsraum werden können.

Ob PDS/LINKE hier tatsächlich ureigene vermeidbare Versäumnisse hat, ob sie mit einem aufmerksameren Blick auf die Verarbeitungsweisen dieser Menschen diese im Rahmen einer regional  linken Gesellschaftserzählung  politisch hätte binden können, ist eine nicht mehr aufzuklärende Frage.

Die harten und unversöhnlichen Debatten innerhalb der DIE LINKE z.B um Migrations- und Identitätspolitiken können in diesem Zusammenhang auch als Ausfluss eines solchermaßen gescheiterten Versuchs gedeutet werden.

Das Bemühen bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt mit dem Slogan „Nehmt den Wessis das Kommando“ als Partei mit besonderer Ostkompetenz wahrgenommen zu werden, war nicht erfolgreich. Ob das im Jahr 2021 überhaupt noch angemessen sein kann, soll hier nicht erörtert werden.

Wer weiß, was nun hilft, bekommt einen Preis.

Ich schieße ins Blaue, wie die Meisten. Eine grundsätzliche Positionsveränderung der Partei scheint mir geraten. Wir wissen nichts besser, wir sind nicht die Oberschlauen, sollten nicht weiter die moralische Monstranz an der Seitenlinie sein. Um den Preis, unsere ( als SED-Nachfolgende nie vorhandene) Unschuld zu verlieren und uns die Hände an Realpolitik schmutzig zu machen, müssen wir aufs Spielfeld, Runde um Runde mit den anderen auf Augenhöhe um die bessere Lösungen ringen, uns Einlassen aufs Hier und Heute, auch auf die Anderen, viel stärker tagespolitisch und kleinteilig agieren, eigene innovative Ideen entwickeln, eigene Positionen regemäßig überprüfen. Stark ist, wer Bündnisse schmieden kann. Ramelow zeigt, wie das gehen kann, auch Bremen und Berlin. Kommunal hat uns der Alltag sowieso im Klammergriff, ohne dass wir deshalb unkenntlich werden.

Kaum noch erträglich immer wieder zu hören, dass wir die einzige Partei seien, die für x oder y steht. Selbst wenn es in bestimmten Fragen so ist. Was sollen die Leute damit anfangen ? Haltungen sind noch keine Politik. Ein Alleinstellungsmerkmal schafft noch keine Gestaltungsperspektive. Jede Gestaltungsperspektive ist in der Demokratie auf andersartige Partner angewiesen.

Selbstverständlich braucht niemand eine zweite SPD. Aber darum geht es auch nicht. Es geht um Handwerk. Dazu muss man in die Werkstatt. Und wenn man da drin ist, darf man nicht nur rumstehen und meckern, dass die Einrichtung nicht gefällt. Oder anders. Auch wer die Verhältnisse zum Tanzen bringen will ( was der Kapitalismus im Übrigen permanent macht, siehe Marx), kann das nur mit denen machen, die im Saal sind. Wir sind nicht umzingelt von Feinden, nur von Andersdenkenden, nicht von Bütteln des Kapitals, sondern von anders Denkenden. Das ist doch eine Perspektive. Man muss sie aber auch einnehmen.

1989- Ein emanzipatorisches Erbe

Wie begeht die Partei DIE LINKE das 30. Jubiläum der Herbstereignisse des Jahres 1989 ?
Wie reflektiert dies die Partei, worauf blickt sie zurück, was würdigt sie, was kritisiert sie, worauf nimmt sie Bezug, in welcher Tradition und in welcher Verantwortung sieht sie sich ?

Auf diese Fragen finden sich leider keine Antworten. Stattdessen fokussieren Partei und Fraktion auf die Jahrzehnte nach 1989 – auf Treuhand, Deindustrialisierung, Arbeitslosigkeit und ihr Image als Interessenvertretung Ostdeutschlands.
Diese Themen sind richtig und wichtig, ganz ohne jeden Zweifel. Aber das genügt bei Weitem nicht.

Die LINKE bleibt auch, das sollte sie um ihrer selbst willen nicht bei Seite schieben, Erbin der Schuld und der Verantwortung der SED, sie bleibt verantwortlich für das Scheitern einer gesellschaftlichen Praxis, die den Begriff des Sozialismus für sich reklamierte.
Dieser Verantwortung hat sie sich in den vergangenen Jahrzehnten mit nachlassendem Engagement immer wieder auch gestellt.

Zu dieser Verantwortung gehört aber auch, alle jenen mit ausdrücklichem und öffentlichem Respekt zu begegnen, die in der DDR auf die Widersprüche zwischen Theorie und Praxis, zwischen Verfassungstext und Verfassungspraxis, zwischen erklärtem Anspruch und gelebter Wirklichkeit aufmerksam gemacht haben, dafür hohe persönlichen Risiken in Kauf genommen und vielfach einen hohen biographischen Preis zu zahlen hatten.

Dazu kommt: Ein nicht unerheblicher Teil des Widerstandes gegen die gesellschaftliche Praxis in der DDR kam von links, teilweise aus der SED selbst.
Ein ganz erheblicher Teil der Forderungen, mit denen z.B. die Initiative für Frieden und Menschenrechte, der Demokratische Aufbruch, das Neuen Forum, die Frauen für den Frieden und viele andere die SED konfrontierten, hatten zum Ziel, den Sozialismus endlich zu realisieren, ihn ökonomisch und ökologisch überlebensfähig, partizipativ und attraktiv zu machen, die DDR zu entmilitarisieren und neben sozialen Rechten auch individuelle Bürgerrechte endlich zu verwirklichen.

Schließlich: Die DDR ist nicht an Ihren Kritiker*innen zugrunde gegangen, sondern auch daran, dass sie nicht auf sie gehört hat. Damit, dass sie jene, die sie konstruktiv-kritisch herausgefordert haben, kaltgestellt, bespitzelt, „operativ bearbeitet“ und ins Gefängnis oder aus dem Land geworfen hat, hat sie sich genau jenes Potentials beraubt, dass sie dringend gebraucht hätte, um sich weiterzuentwickeln. Sie hat damit, absichtsvoll, Signale gesetzt, die der theoretischen Erkenntnis, dass Widersprüche Triebkräfte der gesellschaftlichen Entwicklung sind, diametral entgegenstanden.
Die Partei hatte recht. Jede Abweichung und Infragestellung war verdächtig. Dem Verdacht wurde nachgegangen. Rechtsstaatliche Prinzipien endeten dort, wo die Macht eine Erschütterung phantasierte. Dies hat die Gesellschaft gelähmt, erstarren lassen, vergiftet und auch zerstört.

Selbstverständlich ist es schwierig, mit einer derart eben auch schuldbeladenen eigenen Geschichte umzugehen. Aber dieses Erbe kann nicht ausgeschlagen werden.
Es muss auch heute und künftig offensiv angenommen und verarbeitet werden.

Die weitgehend unblutigen, wenn auch nicht gewaltlosen Verläufe der Revolutionen Osteuropas werden heute oft überwiegend von Ergebnis her bewertet, von rechts und von links.
Dies wird den Akteuren und Prozessverläufen von damals mindestens in der DDR aber keinesfalls gerecht.
Die Ziele und Absichten derer, die im Lande bleiben und Reformen durchsetzen wollten, sind unvermittelt in den Schatten dessen geraten und gerückt worden, was unter dem Narrativ und dem symbolträchtigen Bild vom Mauerfall weltweit heute mit dem Jahr 1989 assoziiert wird.

Wer in diesen Schatten geht und sich umsehen mag, entdeckt eine Welt von Vorstellungen, Hoffnungen, hochfliegenden Absichten, bittersten und rührendsten Erfahrungen und Reflektionen, entdeckt einen Kosmos von wundervollen Menschen und den ganzen Fundus menschlicher Leidenschaften, von Irrungen und Hellsichtigkeiten.
Er entdeckt sehr heterogene Gruppen von Menschen und Konstellationen, auch viele Einzelne, zu unterschiedlichen Zeiten, die sich eine politische und soziale Welt erträumten, die abgeleitet war aus der krassen Widersprüchlichkeit des angeblich real existierenden Sozialismus.
Nicht der Westen war das Referenzmodell. Die Bundesrepublik war nicht die Blaupause, auf der gedacht wurde. Die staatliche Einheit stand nur bei wenigen auf der Agenda.

Vielen ging es über Jahrzehnte um einen freiheitlichen Sozialismus, einen pazifistischen Internationalismus, schon damals auch um den Nord-Süd Konflikt, um ehrliche Aufarbeitung von Nationalsozialismus, Antisemitismus und Rassismus auch in der DDR, um Aussöhnung mit Polen und Themen des Umweltschutzes im Angesicht der haarsträubenden Verwüstungen, die die veraltete Industrie vor allem in Sachsen und Sachsen-Anhalt in der Landschaft, den Städten und den Lungen anrichtete.

Was in diesen Jahrzehnten, notgedrungen oft im Umfeld der Kirchen, gedacht, diskutiert, geschrieben und künstlerisch gearbeitet wurde, wird in seinem Tiefgang und seiner politisch ethischen Reife sträflich unterschätzt. Wer die Samisdat-Literatur der DDR zur Kenntnis nimmt lernt schnell: Die waren damals schon auf der Höhe nicht nur ihrer Zeit. Die hatten über den Kapitalismus keine Illusionen. Die kannten die Grenzen des Wachstums auch in der Mangelwirtschaft der DDR.

Der Widerstand gegen die SED- Diktatur verdient dort, wo er die DDR von links, auch wo er sie aus einer verantwortungsethischen und christlichen Perspektive kritisiert hat und wo es schlicht um den selbstverständlichen Anspruch ging, sagen zu können, was ist, die volle Aufmerksamkeit der Partei DIE LINKE. Hier gibt es ein Erbe, dass es sich anzueignen gilt. Es ist ein zutiefst emanzipatorisches Erbe.

Gegenwärtig gibt es niemanden, der sich um diese Erbe kümmert. Es gilt als abwegig, von der Geschichte überholt und erledigt, als naiv, maximal tauglich als Anschauungsobjekt in einer Zeitkapsel, die gegen das Heute hermetisch durch den Fall der Mauer abgegrenzt ist, ohne Bezug und Wirkungsgeschichte.
Die LINKE ist es sich und diesen Menschen schuldig, dieses Erbe anzunehmen ohne es sich einzuverleiben. Hier kann für die Zukunft gelernt werden.

Aber auch die LINKE weicht aus.
Während das übrige politische Spektrum von den Intentionen und Motivationen, aus dem der Widerstand gegen den verhunzten Sozialismus seine Energien bezog, nichts mehr wissen will, weil es diese, wie oben beschrieben, honorig aber abwegig findet, scheut die LINKE die Berührung mit diesem Erbe, als könne sie sich erneut mit dem Pariavirus anstecken, wenn sie mehr als unbedingt nötig, sich dem Thema zuwendet.

Als Bürgermeister von Pankow kann ich das nicht. Denn seine Ortsteile Prenzlauer Berg, Pankow und Weissensee, waren wichtige und entscheidende Schauplätze, sowohl bei der Aufdeckung der Wahlfälschungen im Mai 1988 anlässlich der Kommunalwahlen in der DDR, als auch später im Jahr des Umbruchs wie an der Gethsemanekirche. Vor allem aber lebten hier über Jahrzehnte viele Menschen überall, die sich nicht in die geistige Kaserne sperren ließen und auf die Vielfältigkeit menschlichen Lebens und menschlicher Erfahrungen bestanden.
Und auch vor meinem eigenen biographischen Hintergrund in der evangelischen Kirche der DDR will ich auf das Feiern nicht verzichten. Darum habe ich hier eine ganze Veranstaltungsserie aufgelegt, die unterm Arbeitstitel „Friedliche Revolution von unten“, den Ansatz verfolgt, den überwiegend unbekannt gebliebenen Akteuren Aufmerksamkeit zu schenken, damit zu würdigen und eine Stimme zu geben. In einem groß angelegten Projekt hat eine Pankower Künstlerin 195 Bodenzeichen in Pankow verlegt, die auf Orte und Menschen hinweisen, die zum Umbruch beigetragen haben Diese Bodenzeichen sind mit QR-Codes versehen und verweisen auf eine Internetseite, (https://aufbruch-herbst89.de/uebersicht/) auf der sich Interviews, Bildmaterial und andere Medienzugänge finden. Es werden Stadtführungen angeboten und vieles mehr.

Damit das Erbe der friedlichen Revolution nicht im Kitsch ersäuft wird und wie ein erlegtes Tier ausgestopft auf dem Kaminsims des neuen Deutschland als Trophäe verstaubt, muss es angenommen und in seiner ganzen Breite erschlossen werden als lebendiges und widersprüchliches Erbe dieses Deutschlands, als lebendige Geschichte, die fortwirken soll.
Die schon weit fortgeschrittene Instrumentalisierung der Friedlichen Revolution als Gründungsmythos des vereinigten Deutschlands wird nicht dadurch gegenirritiert, dass man sie den Zeremonienmeistern der neuen nationalen Erzählung widerstandslos überlässt.

Auch wenn die Grünen mit einigem Recht meinen, dies Erbe gehörte Ihnen, weil eine ganze Reihe ehemaliger Bürgerrechtler*innen dort ihre neue politische Heimat fanden. Die Wahrheit ist, die meisten Bürgerrechtler*innen der Zeit vor 1989 fanden danach nirgendwo eine neue politische Heimat, wenn sie überhaupt im neuen Deutschland eine Heimat fanden.
Das Erbe von 1989 gehört niemandem und es gehört allen. Und anders als in der DDR kann niemand mehr den Anspruch erheben eine abschließende Bedeutung zu behaupten und eine allgemeingültige Lehre zu ziehen.
Der DDR- Sozialismus ist gescheitert und das verdient. Soviel steht fest. Seine Überwindung hat auch einen theoretischen und praktischen Irrweg beendet. Das ist gut.

Aber gerade im Prozess der Befreiung von seinen Fesseln ist viel wertvolle Utopie produziert worden. Viele erinnern sich noch an das Glück und die Leichtigkeit, an die Hoffnung und die Zuversicht jener Monate, das Erleben von Selbstwirksamkeit.
Viele Menschen waren wie verzaubert und erlöst. Dieser Umbruch war ein Befreiung.

Auch die SED wurde von sich selbst befreit. Das Land, das ihr gehörte, war ein Gefängnis geworden, kein verhindertes Paradies. Der damals produzierte utopische Überschuss geistert ortlos durch die endlose Gegenwart des Turbokapitalismus. Kein Ort, nirgends, an dem dieser Überschuss aufgehoben ist. Und kein Asyl im Paradies.

Die LINKE sollte dieses Erbe annehmen.

Holm

Die Stasi war der Geheimdienst einer Parteidiktatur und hat neben der „normalen“ geheimdienstlichen Arbeit, wie sie auch westliche Geheimdienste machen, den zusätzlichen Auftrag der Unterdrückung der politischen Opposition wahrgenommen. Dabei hat sie systematisch Methoden verwandt, die Menschenrechte und Menschenwürde missachteten. Sie hat Verbrechen und Psychoterror zu verantworten, sie hat absichtsvoll Menschen zerstört und auch ermordet. Sie hat die eigene Bevölkerung überwacht und bespitzelt.
Jede und jeder, der/die nicht ideologisch durch das Elternhaus vernebelt oder völlig gleichgültig war (die gab es auch in Mengen), wusste das auch schon zu DDR-Zeiten.

So war für mich, Jahrgang 68, immer völlig klar, daß es sich weder gehört in die SED einzutreten, noch an der Grenze zu dienen, geschweige denn, mit der Stasi zusammenzuarbeiten. Aber: meine Eltern waren zwar Lehrer, aber auch Kirchenmitglieder, sie waren keine Oppositionellen, aber eben auch eben keine aktiven Systemträger.
In unserer ganzen Verwandtschaft und dem Freundeskreis meiner Eltern kann ich mich an kein einziges SED-Mitglied erinnern. Es hat jedenfalls nie eine Rolle gespielt im privaten Umfeld.
Hinzu kam ein starker Einfluss des friedensbewegten Pfarrers der Gemeinde, in der ich aufwuchs. Ich glaubte an die Autorität Gottes und die daher nachrangige Stellung irdischer Autoritäten. Das machte Einen automatisch etwas entspannter.
„Schwerter zu Pflugscharen“, fand ich toll. Die „Solidarnosc“-Sticker, die ich aus Polen mitgebracht hatte, musste meine Mutter wegschließen, damit ich sie in der Schule nicht an die Jacke tat. Da war ich 13 Jahre alt.

Es ist kein besonderes Kunststück in einem solche Umfeld schon zu DDR- Zeiten irgendwie kritisch gewesen zu sein. Es ist aber auch kein besonderes Verdienst, daß mich heute zu moralischem Hochmut berechtigte.

Das aber habe ich erst lernen müssen. Und ich habe es auch nur deshalb gelernt, weil ich im Jahr 2000 in die PDS eintrat und nun plötzlich häufiger Menschen traf, von denen ich mir zu DDR- Zeiten nie wirklich klar gemacht habe, daß es sie überhaupt gab.

Menschen, die tatsächlich zur DDR-Zeiten an die DDR glaubten, die aus Elternhäusern kamen, die diese Glauben kultivierten bis zum Schluss. Menschen, deren Familien seit Generationen der kommunistischen Idee folgten und daher loyal blieben. Menschen, die mit aller Macht versuchten auszublenden, was doch für den Großteil der Bevölkerung offensichtlich war. Und ich begegnete Menschen, die beim Wachregiment gedient hatten, auf Offiziersschulen gewesen waren und Menschen, die zu Teilen Ihres Lebens auch Bedienstete des berüchtigten Ministeriums waren oder dorthin gegangen wären ohne den Herbst 89.( Diese Menschen sind übrigens in heute dieser Partei nur eine Minderheit und fallen auch nur Menschen mit meinem biographischen Hintergrund überhaupt auf. Wir haben dafür einen Riecher. )
Und ja, es ist mir in den ersten Jahren sehr, sehr schwer gefallen, die Verachtung und das Ressentiment in mir abzulegen und diesen Menschen eine Chance zu geben. Es ist mir schwer gefallen mir selber die Chance zu geben, sie kennenzulernen als die, die sie nun geworden waren und nicht nur wahrzunehmen als jene, als die sie mir begegnet wären, wäre wir uns früher begegnet.
Darum habe ich durchaus Verständnis, wenn Betroffene bei der Causa Holm eine innere Verhärtung spüren, eine Unnachgiebigkeit und auch eine Lust, sich noch und noch zu rächen für die erlittene Demütigung und das politische Unrecht von damals.
Ich kann den Impuls nachvollziehen, bei jeder sich bietenden Gelegenheit noch einmal klarzumachen: Die DDR war nicht der bessere deutsche Staat, der sie hätte sein sollen und vielleicht können. Sie hat ihre Macht auch auf Verbrechen gestützt. Die Stasi war tatsächlich Schild und vor allem auch Schwert dieser diktatorischem Herrschaft.

Ich halte diese Unnachgiebigkeit und diesen Furor auch gegenüber einzelnen Menschen aber für grundfalsch. Und das hat auch nichts mit Aufarbeitung zu tun.
Aufarbeitung heißt, ein System in seinen Strukturen, in seinem Werden, Bestehen und Untergang zu erforschen, die Mechanismen der Macht offenzulegen, zu zeigen, wie Diktaturen funktionieren, was sie mit den Menschen macht und was es braucht, um sich forthin davor zu schützen. Aufarbeitung heißt auch, Menschen, die Verbrechen verübt, befohlen oder politisch zu verantworten haben, persönlich mit den Mitteln des Rechtsstaates haftbar zu machen. Aufarbeitung hieß und heißt aktuell auch immer noch Überprüfung von Menschen auf Stasi-Tätigkeit, wenn sie in öffentliche Ämtern wollen. Dabei hat die Praxis in den vergangenen 26 Jahren durchaus zu differenzieren gelernt.

Bei Andrej Holm jedoch verfällt die Öffentlichkeit wieder in Reflexe, die skurril und aufschlussreich sind, ernüchternd und abstoßend.
Es ist heute völlig irrelevant, ob ein damals 18 Jähriger auf Zeit oder auf Dauer zur Stasi wollte, wenn er sich 26 Jahre später glaubhaft von dieser Absicht distanziert und sein Leben seitdem Beleg für seine veränderte Haltung ist. Es ist heute völlig irrelevant, ob er sich ob der formalen Aspekte zur Einstufung seiner Tätigkeit richtig oder falsch erinnert hat. All dies sind nur billige Aufhänger für jene, die vom Standpunkt des moralischen Hochmutes aus noch die kleinste Lässlichkeit als Beleg für die Unmöglichkeit des Holm sehen wollen.
Wichtig ist im Jahr 2016 lediglich: Wer ist dieser Mann heute, wofür steht er, was vertritt er. Geklärt ist bereits: Er hat zu DDR- Zeiten keine unverzeihliche Dinge getan, die ihn im Jahr 2016 für öffentliche Ämter untragbar machen.
Und wer den Holm wegen seiner vermeintlichen Nähe zum Linksradikalismus ablehnt, der kann getrost auch mich sich öffentlich zur Brust nehmen. Ich kann mich an keinen Text von Holm erinnern, den ich als besonders radikal empfunden hätte. Das sollte mich verdächtig machen.

Letzte Anmerkung: Irgendwann in einem dieser widerlichen Weherziehnungslager während meiner Lehre gab es abends irgendeine Diskussion am Lagerfeuer mit den Polit-Genossen. In der DDR war es üblich „unsere“ Republik zu sagen. In unserer Republik gibt es dieses und jenes….. Unsere Republik will…..trallala.
Ein Code, dessen man sich besser bediente, gerade auch, wenn man etwas kritischer diskutierten wollte, denn er enthält ein grundsätzliches Bekenntnis. Im Eifer des Gefechts verletzte ich diesen Code unabsichtlich und sagte „In diesem Land“….. an irgendeiner Stelle.
Das wurde sofort bemerkt, die sprachliche Distanzierung, dieses von Außen betrachten als Indiz einer Dissidenz gedeutet . Ein kleiner Inquisitor am Lagerfeuer stürzte sich agitatorisch auf diese Wortgruppe und wies der angetrunkenen Versammlung meine politische und moralische Verkommenheit nach. Eine lächerliche, wenn gleich beängstigende  Aktion. Aufhetzen ließ sich aber in der 2. Hälfte der 80er auch niemand mehr so richtig.
Dieser Tage erinnere ich mich an diese Episode. Es muss was Wunderbares sein, auf der richtiges Seite zu stehen, die Macht hinter sich zu wissen und einen Delinquenten mal so richtig zu demütigen. Sonst wäre sie keine so zeitlose Erscheinung, die heilige Inquisition.

Liebe besorgte Bürgerinnen und Bürger,

wie viele von Euch bin ich männlich, mittleren Alters, Ostdeutscher, habe eine Familie und einen Kleingarten. Einen Hund haben wir auch.
Früher in der DDR fand ich Vieles schlecht genug, um mich in der Friedens- und Ökologiebewegung der evangelischen Kirche zu bewegen. So ganz schlecht fand ich die DDR aber dann doch nicht, ausserdem war ihr Ende lange nicht abzusehen, und so habe ich andererseits auch mitgemacht, z.B. in der FDJ.
Das Ende der DDR hat mich denn auch sehr traurig gemacht, gerade wegen der neu gewonnenen Freiheit. Freiheit und Sozialismus fand ich eine schöne Kombination. Die meisten von uns sahen das aber deutlich anders.
Ich kann mich noch ziemlich gut an die Nacht zur Währungsunion erinnern, an die Autokorsos und die Schlange vor der Deutschen Bank Filiale am Alexanderplatz in der großen Stadt Berlin, in die ich inzwischen gezogen war. An Menschen, die Geldscheine küssten, an Jubel und Alkohol. Ich habe mich damals ein bisschen (eigentlich ziemlich doll) geschämt für uns und dafür, dass wir uns unsere Revolte so billig haben abkaufen lassen. „Kommt die D-Mark bleiben wir, kommt sie nicht, gehen wir zu ihr“. Das waren so Sprechchöre auf den Demonstrationen, als Demonstrieren nichts mehr kostete. Habt ihr auch noch die Fernsehbilder aus der Prager Botschaft und vom Treck der zu Fuß über die ungarische Grenze Flüchtenden vor Augen ? Ein bisschen gleichen sich die Bilder mit denen von der Balkanroute, findet ihr nicht ? Ok, die Klamotten und Frisuren waren schon schlimm Achtziger . Aber sonst.
Und dann kamen nach der schnellen Vereinigung die Neunziger und da war dann Vielen von uns nicht mehr nach Jubeln. Massenhaft schlossen Betriebe, Versicherungsfuzzis, Ottokataloge und Butterfahrten überschwemmten die ostdeutschen Provinzen. Die zweite, dritte und vierte Garde der westdeutschen Gesellschaft, also all jene, die drüben nichts geworden waren und die Buschzulage reizvoll fanden, kamen herüber und erklärten uns ihre Welt, die nun auch unsere werden sollte. So hatten wir das durch Wahlen zum Ausdruck gebracht.
Damals sind dann Sprüche entstanden wie: „Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm. Beim Wessi ist es andersrum“ und eben der Begriff des Besserwessis. Manche kennen sicherlich auch den in kyrillischen Schriftzeichen gesetzten deutschen Satz: „Венн Ду Дас Лезен Каннст Данн Бист Ду Кеин Думмер Весси“. Das war dann so unsere Art, unserem verletzten Stolz Ausdruck zu geben, unsere Faust in der Tasche zu ballen. Es war schon eine blöde Situation. Erst haben „wir“ dem Kohl zugejubelt und die Einheit geradezu herbeigenötigt, um dann festzustellen, wie bescheuert wir waren, zu glauben, Einheit, das sei Westdeutschland plus DDR. Aber da kamen wir nun nicht mehr raus. Und da wir die Schuld für unsere Lage nicht uns selbst geben wollten, begannen wir uns betrogen zu fühlen, empfanden uns als Menschen zweiter Klasse und irgendwie als Verlierer der Geschichte. Dabei hatten wir doch gerade noch das angeblich Größte, die Freiheit, gewonnen. Aber wenn Freiheit darin bestand, neidvoll und arbeitslos die Autos der Anderen zu bestaunen und zu Hause Furchen in den Teppich zu ziehen, dann machte uns das irgendwann doch ziemlich wütend. Schließlich wollten wir in unserer Würde und unseren Leistungen auch anerkannt werden. Daraus wurde aber nichts.
Einige von uns meinten dann, Asylbewerberheime anzuzünden, würde uns weiter bringen, mehr Aufmerksamkeit oder mehr Wohlstand. Sie hatten die ziemlich dumme Idee, wenn die „Fitschis“ und „Neger“ weg wären, würde schon alles gut, das Geld, das die bekamen, bekämen dann wir. Das Ergebnis war aber ein Anderes. Mal abgesehen von toten und traumatisierten Eingewanderten, wurden wir ein weiteres Mal stigmatisiert. Die Ostdeutschen wurden nun als hinterwälderische Dumpfbacken wahrgenommen, als Psychowracks des Kommunismus, die man im Kindergarten zu früh getopft hatte. Es machte sich die These breit, weil wir in unserem Sozialgehege DDR zu wenig Kontakt mit Ausländern gehabt hätten, würde wir nun mit denen fremdeln. Ja im Westen gab es auch brennende Unterkünfte. Aber dafür wurde nicht die Westsozialisation verantwortlich gemacht. Dort galt das schlicht als Verbrechen, bei uns als diktaturbedingte Deformation.
Warum schreibe ich Euch das alles ?
Ich kann den Frust verstehen, als Ossi nicht anerkannt worden zu sein, sich in seinen Hoffnungen betrogen zu fühlen, zu merken, dass das Leben zu kurz ist, um noch alle Hoffnungen wahr werden zu lassen. Ich kann verstehen, wenn manche spüren, dass sie nicht noch eine grundstürzende Änderung in ihrem Leben haben wollen, dass sie genug Veränderungen ertragen haben. Und wahrscheinlich haben alle recht, die annehmen, dass die Kosten, die die Integration der Geflüchteten zunächst einmal auf jeden Fall verursacht, sicher nicht von den oberen Zehntausend, sondern von den unteren 90 % bezahlt werden wird. Dass der berühmte Kleine Mann zur Kasse gebeten werden wird oder jedenfalls der Kuchen nicht größer, aber die Esser mehr werden. Und wenn man eh schon denkt, man käme irgendwie zu kurz, dann wird man eben schon mal wütend und will das auch artikulieren dürfen.

Es gibt aber auch ein paar Sachen, die verstehe ich nicht.
Zum Beispiel wird der Kuchen seit Jahrzehnten in Wirklichkeit jedes Jahr größer und ihr bekommt auch ohne Flüchtlinge nichts davon ab. Ist Euch das noch nie aufgefallen ? Als sie die Rente mit 67 eingeführt haben, die ja in Wahrheit eine riesige Rentenkürzung ist und Millionen von Armutsrentnern produziert, hat es keine Massenproteste gegeben. Habt ihr schon mal mitbekommen, daß die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, ganz ohne Flüchtlinge ?
Die meisten von uns sind Atheisten und trotzdem quatschen Pegida und AfD immer von den christlichen Werten des Abendlandes. Was meinen die damit und was meint Ihr damit ? Etwa den Satz von Jesus:“Was ihr den Geringsten meiner Brüder tut, das tut ihr mir.“? Doch wohl eher nicht.
Ich will nämlich nicht glauben, daß ihr einfach nur Rassisten seid, daß ihr tatsächlich glaubt, die deutsche Kultur stehe irgendwie über der syrischen oder arabischen oder muslimischen, wie immer ihr das auch nennt . Ich kann nicht glauben, daß ihr ernsthaft „Angst“ vor vergewaltigenden „Arabern“ habt.
Glaubt ihr wirklich, wir wären irgendwie wertvollere Menschen, wir hätten uns unseren Wohlstand durch harte Arbeit verdient ? Glaubt ihr wirklich, mit dem glücklichen Zufall der mitteleuropäischen Niederkunft und Hautfarbe unserer Mütter verbinde sich ein dauerhaftes Besitzstanderecht auf Boden und Ressourcenverbrauch, einschließlich Ressourcenkiregen und Putschen in rohhstoffreichen Ländern zur Ausschlachtung der Südhalbkugel ?
Glaubt ihr wirklich, Deutschland würde von Barbaren überrannt, die tausende von Kilometern zu Fuß zurücklegen, weil sie falsch (oder richtig) informiert sind über Hartz IV ? Glaubt ihr wirklich, die geben alles, was sie hatten auf, um hier als Sozialtouristen in einer fremden Kultur, abgeschnitten von ihrer Heimat in Bruchbuden ihr Dasein zu fristen ?
Würdet ihr, mal angenommen, Syrien hätte unser Sozialsystem, würdet ihr so mir nichts dir nichts, weil man dort eine Mindestsicherung bekommt, die man hier vielleicht nicht bekommt, Euch zu Fuß nach Syrien aufmachen ohne Not, tausende von Kilomentern unter Lebensgefahr ? Nein, natürlich nicht. Also kann ich nicht glauben, daß ihr glaubt, sie kämen vielleicht ja doch ohne Not.
Glaubt ihr wirklich, Frau Petry, Herr Höcke oder Herr Gauland, dem Seehofer oder de Maizière ginge es um Eurer Wohl oder um Deutschland ? Glaubt ihr wirklich, wenn ihr die stark macht, dass es für euch und eure Kinder dann besser läuft ?
Wenn ihr das glaubt, wenn ihr glaubt, dass es dann gerechter zugeht im Land, nur weil wir uns die Flüchtlinge vom Hals halten, daß es den Armen, den Alten, den Geringverdienern dann besser geht, dann benutzt doch bitte einfach Euren eigenen Kopf und überfliegt mal rasch die Geschichte eures eigenen Lebens und was die Politik euch zu unterschiedlichen Zeiten geboten hat.
Oder wisst ihr das schon alles, glaubt aber, daß die Flüchtlinge die die ganze Scheisse noch schlimmer machen und wollt deshalb, daß sie wegbleiben ? Weil ihr zwar wisst, daß die Welt ungerecht ist, Euch aber nicht traut, gegen die bekannten Ungerechtigkeiten vorzugehen und daher lieber als besser gestellte Beschissene leben wollt, als Euch mal richtig gegen die zu wenden , die Euch bescheissen ?
Ist es also nur Feigheit und kaltes Herz und garnicht Vaterlandsliebe, Christentum und Verantwortung für Eure Kinder ? Das kann ich nicht glauben.
Falls doch, dann sagt das doch einfach so und bemäntelt Eure Verbitterung, euren Opportunismus, eure Feigheit und eure Engherzigkeit nicht mit großen Worten.
Denn ihr wisst so gut wie ich: Die Frage, ob wir das schaffen, ist keine Frage der Zahl und der Herkunft der Geflüchteten, sondern einzig eine Frage des Willens und der Bereitschaft. Natürlich können wir das schaffen. Wer Exportweltmeister schafft, schafft auch Flüchtlingsintegration.
Wer 12 Millionen deutsche Flüchtlinge und Vertriebene nach 1945 in ein zerstörtes Land integrieren konnte, der kann natürlich auch mindestens 1 Million Flüchtende in das reichste Land Europas integrieren.
Sind Wille und Bereitschaft da, ist der Rest Geld und Organisationtalent- für Beides sind wir ziemlich bekannt in der Welt. Das hat uns bisher nicht gestört.
Natürlich macht es Arbeit und natürlich gibt es für einige Wenige von uns auch Einschränkungen. Regierungspolitiker zum Beispiel müssen jetzt etwas mehr rödeln als sonst, auch die Verwaltungen arbeiten am Limit, weil die Politik ihnen nicht die nötigen Ressourcen zur Verfügung stellt. Und zwischenzeitlich trifft es auch die eine oder andere Turnhalle. Aber sonst ? Ein bisschen mehr Selbstbewußtsein für stolze Deutsche sollte schon drin sein. Ihr könntet ja mal die viel gescholtenen Gutmenschen angucken. Viele von denen arbeiten inzwischen seit Monaten in Flüchtlingsunterkünften, ehrenamtlich nach der Arbeit, in ihrem Urlaub oder als Rentner oder Selbstständige und halten so den Laden am Laufen. Das sind Deutsche ! Zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl. Nur würden die das so nie von sich sagen.
Das Deutsche und die deutschen Werte halten angeblich ausgerechnet jene hoch, die seit Monaten nichts anderes tun als Jammern und Angst haben und Herausforderungen nicht annehmen, sondern sie abwehren wollen. Drückeberger, Weicheier und Heulsusen, die aus Angst vorm Muselmann oder um ihre nächste mikrige Rentenerhöhung Leuten zujubeln, die aus dieser zugegebenermaßen mehr schlecht als recht funktionierenden Demokratie, eine gut funktionierende Diktatur machen werden, wenn ihr sie lasst. Wer Orban in Ungarn und Petry in Deutschland hinterherläuft, der macht dieses recht friedliche Scheißbürokrateneuropa so kaputt, daß ihr euch nach diesem friedlichen Scheißbürokrateneuropa noch zurücksehnen werdet.
Ich wär ja dafür, es einfach besser zu machen und das zu beherzigen, was wir im Grunde alle wissen: Solidarität macht immer alle reicher. Abgrenzung und Konkurrenz macht Gewinner und Verlierer, gebiert Neid und Hass und Krieg. So einfach ist das.
Aber ihr sollt ja keinen einfachen Parolen hinterher rennen. Lasst Euch nicht nochmal blühende Landschaften versprechen. Von Niemandem.

Wer Griechenland helfen will,

muss eine Regierungsalternative entwickeln.

Das deutsche Europa, vor dem nicht nur Linke spätestens seit 1989 gewarnt und das auch unsere europäischen Nachbarn als mögliche Gefahr gesehen haben, scheint sich nun tatsächlich zu manifestieren. Wolfgang Schäuble ist nur der Exekutor dieser Entwicklung.

Angela Merkel hingegen entpuppt immer deutlicher als die, die sie immer war, eine maßlos überschätzte Politikerin, ein prinzipien- und ideenloser politischer Betriebsunfall, der vor allem deshalb so stark mit positiven Projektionen aufgeladen werden konnte und wird, weil dahinter nichts ist. Selbst ihre marktkonforme Demokratie, die ihr als politische Vision zugute gehalten oder angelastet wird, ist keine Vision, sondern die logische Entwicklung der Selbstentmachtung der Politik durch Liberalisierung und Deregulierung, die sie ermöglicht und deren Folgen sie lediglich als quasi natürliche Entwicklung zu begreifen scheint und daher befürwortet.

Getragen wird dieses neue deutsche Dominanzgebaren von der gesamten rechtsnationalen, konservativen und neoliberalen politischen Klasse. Das ist weder überraschend noch neu. Neu ist, dass die europapolitischen Traditionen der Generation Kohl von den Konservativen gerade umstands- und widerspruchslos entsorgt werden.
Neu ist auch, dass die Spitzenfunktionäre der SPD ungeniert mit in das Horn der nationalen Arroganz blasen. Wenngleich man hätte wissen können, daß auch dies in der Volkspartei SPD schon länger seinen Platz hat. Denn wie plakatierte die SPD im Europawahlkampf: „Nur wenn Sie Martin Schulz und die SPD wählen, kann ein Deutscher Präsident der EU-Kommission werden“. 

Getragen wird die deutsche Griechenlandpolitik und der Modus ihrer Durchsetzung überdies auch von weiten Teilen der Bevölkerung, die in der Art und Weise der Krisenbearbeitung durch die Bundesregierung den eigenen Alltagsverstand bestätigt sieht:
Eine Nachbarsfamilie, die über ihre Verhältnisse lebt, will wieder und wieder Geld. Jedesmal verspricht sie Besserung, die jedes Mal ausbleibt. Jetzt hat sie sogar beschlossen, keins zurück zu zahlen, will aber Weiteres. Frechheit- Fettlebe auf unsere Kosten und ausserdem wissen wir, daß der Nachbarshaushalt ein chaotischer Saustall ist, wo keiner arbeiten geht und was Vernünftiges kann. Also knüpfen wir jede weitere Hilfe nunmehr an Bedingungen. Ja, wir sind sehr geduldig. Künftig führen wir selbst das Haushaltsbuch und überwachen die Einnahmen und Ausgaben. So haben wir die Gewähr, daß die Nachbarsfamilie das Geld nicht abermals verprasst. Am Ende ist allen geholfen.

So geht die Geschichte, die an eine andere Geschichte nahtlos anknüpft, denn:
Die seit Jahren betriebene Umdeutung einer Krise der Finanzwirtschaft in eine Krise der über ihre Verhältnisse lebenden Staaten war äußerst erfolgreich.
Nachdem Banken als systemrelevant und also als unter allen Umständen zu retten beschrieben waren, füllten die Staaten deren bilanziellen Löcher mit Steuergeldern. Die Lösung der Finanzkrise bestand also einer gigantischen Privatisierung von Volksvermögen. Staatseinnahmen, auch künftige, wurde den Banken überschrieben, also deren Anlegern.
Daraus folgte eine Staatsschuldenkrise, die sich je nach Leistungsfähigkeit und Wertschöpfungsquellen der Volkswirtschaften sehr unterschiedlich auswirkte. Einige haben die Schuldenentwicklung in den Griff bekommen, andere sind in die Überschuldung gerutscht. Die Gründe waren jeweils sehr verschieden.

Deutschland war auf diese Krise gut vorbereitet. Es hatte bereits vorher mit den rot-grünen Arbeitsmarkt- und Sozialstaatsreformen den größten Niedriglohnsektor Europas geschaffen, hatte seine Investitionsquote heruntergefahren und eine leistungsfähige und exportstarke Wirtschaft, Leistungsbilanzüberschüsse auf Kosten anderer inclusive.

Im Verlauf der Krise ist Deutschland ökonomisch vollends hegemonial geworden in Europa und damit auch politisch. EU und Währungsunion bildeten den roten Teppich und die Treppe auf diesen Thron. Die Finanzkrise gab den nötigen Schub. Der neue Liebling der Parteien, der deutsche Steuerzahler, konnte durch die krisenbedingte Niedrigzinspolitik Zinsersparnisse von über 300 Mrd. € realisieren.
Deutschland ist zum ton- und maßangebenden Faktor in der EU geworden. Eine durchaus mögliche alternative, kooperative und integrative Entwicklung Europas wird unter der deutschen Ideologie dieser Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD nicht ermöglicht werden. Sie bündelt die am meisten chauvinistischen Interessen und sammelt all jene Regierungen hinter sich, die ihren Völkern bei der neoliberalen Krisenbearbeitung am Meisten zugemutet haben. Denn diese Regierungen haben alles zu verlieren, sollte sich erweisen, dass es auch anders ginge.

Wenn diese Einschätzung mindestens teilweise zutrifft, dann liegt ein entscheidender Hebel für die Richtung der künftigen Entwicklung Europas in Berlin.

Es ist fraglich, ob DIE LINKE die Tragweite einer solchen Einschätzung für sich selbst bereits realisiert hat. Denn dann käme ihr als einer der beiden einzig verbliebenen deutschen Oppositionsparteien eine enorme Verantwortung zu. Dann ginge es nicht mehr zuerst um die vollumfängliche Durchsetzung innen- und aussenpolitischer Programmziele, sondern zunächst um die Ermöglichung entscheidender Korrekturen bzw. Richtungsänderungen im europäischen Gefüge, um eine andere Form der Krisenbearbeitung und die damit verbundene Chance der Vertiefung der europäischen Integration auf solidarischer Basis.
Nach Lage der Dinge ist eine solche Richtungsänderung ausschließlich in einer r2g- Konstellation überhaupt nur denkbar. Wenn es in Deutschland also einen Politikwechsel geben kann, dann nur in dieser Konstellation. Darum wäre jedwede Absage an r2g aufgrund der derzeitigen Politk keine Kampfansage um die Macht im Lande, sondern nur die Botschaft, daß man sich selbst vom Platz stellt.
Natürlich ist es verheerend, was Sigmar Gabriel und die ihn tragenden Netzwerke in der SPD nicht erst in den letzten Monaten veranstaltet haben. Natürlich ist es schwer irritierend und auch durchaus frustrierend feststellen zu müssen, daß es in der SPD keine Sozialdemokrat*innen mit Macht und Einfluss mehr gibt, sondern dem Anschein nach nur noch Sozialdemokratendarsteller*innen. Wenn die SPD die CDU rechts überholt, dann klafft ein Loch in der politischen Landschaft, das die LINKE nicht allein überbrücken kann.

Aber ist das so ? Oder ist es nicht vielleicht viel mehr so, daß die SPD schon lange wesentlich ein politisches Chamäleon ist, das sich in alle mögliche Richtungen färben kann, je nachdem, was machtpolitisch erfolgversprechend erscheint ? Ist es da politisch nicht sinnvoller, die SPD als das zu nehmen als das sie sich handelnd erweist, anstatt sie wieder und wieder dafür zu kritisieren, dass sie mit dem eigenen inneren Bild von einer SPD, wie sie sein sollte, nicht übereinstimmt ?
Die SPD ist eben in der Lage bei passender Gesamtkonstellation fortschrittliche Politik ebenso mitzutragen wie auch neoliberale Politik zu vertreten. So what. Solange Ersteres noch im Bereich des Möglichen liegt, sollte das auch adressiert werden, anstatt sich an Letzterem rechthaberisch im Kommentarmodus zu laben.
Darum ist die Benotung der SPD mit Verweis auf Sigmar Gabriels Verhalten in der Griechenlandkrise als regierungsunfähig wie jüngst durch das fds ein Eigentor der Benotenden. Die CDU wird´s freuen.

Wenn die LINKE ihre häufig zu recht fundamentale Kritik an den Verhältnissen ernst und auch sich selbst in ihrer Rolle ernst nimmt, muss sie endlich um die Macht im Lande und also um demokratische Mehrheiten kämpfen.
Den Griech*innen jedenfalls ist nicht mit spitzfindigen Abstimmungsbegründungen im deutschen Bundestag zu welchen Schuldenpaketen auch immer geholfen, sondern lediglich mit einem, wenigstens am Möglichkeitshorizont erscheinenden Machtwechsel im Kanzleramt. Darum sollte zuerst und vor allem Dingen die CDU und Angela Merkel angegriffen werden und nicht die SPD.
Wer um diese Macht nicht kämpfen will, wem die notwendigen Partner dafür zu schmuddelig sind, dem ist wenig Glaubwürdigkeit zuzugestehen beim ernsthaften Willen, in die Verhältnisse einzugreifen.

Zweifelsfrei bleibt richtig, daß auch aus der Opposition heraus Veränderungen möglich sind. Allerdings dürfte inzwischen deutlich geworden sein, wie begrenzt das Feld in Wahrheit ist, auf dem dies tatsächlich gilt. Deutschland ist in den letzten Jahren nicht sozialer, sondern unsozialer geworden, die Einkommensschere öffnet sich weiter , die Prinzipien Hartz IV und Treuhand werden zum Modell für ganz Europa. Europa droht die Spaltung. Da noch vom segensreichen Wirken aus der Opposition heraus zu reden, erscheint doch eher wie das Pfeifen im Walde.

Gregor Gysi spricht immer mal wieder davon, daß es für r2g noch keine gesellschaftliche Stimmung gebe und dass es die brauche, um eine solche Konstellation nicht nur rechnerisch sondern auch politisch wirksam werden zu lassen. Das ist richtig. Die Frage ist nur, was ist Henne, was Ei. Solange diese Alternative nicht als real existierendes Angebot am politischen Möglichkeitshorizont erscheint, kann eine solche Stimmung erst garnicht entstehen. Warum sollten die Wähler*innen 3 Parteien zusammensperren wollen, die sich gegenseitig nicht das Schwarze unter den Nägeln gönnen ?

Die erpresste Einigung von Brüssel ist kein Abschluss, sondern nur weitere Etappe in einem Drama, das noch viele Akte kreieren wird. 

Mit dem Verlauf der Griechenlandverhandlungen ist eine neue Situation entstanden. Es ist offenbar geworden, daß die Eurozone auf Dauer nur funktionieren kann, wenn sich die teilnehmenden Staaten im Binnenverhältnis untereinander ehrlich machen. Wer auf Transfers langfristig verzichten will, muss in schwächere Zonen massiv investieren und darf diese Investitionen nicht als Schuld der anderen verbuchen, sondern als gemeinsames Investment. Eine Wertegemeinschaft, als die die EU sich immer wieder darstellt und die aus dieser Darstellung immer noch einen großen Teil ihrer Legitimation bezieht, kann nicht funktionieren, wenn deren Mitglieder sich in Gläubiger und Schuldner zerteilen. 

Sollte die von Deutschland angeführte Staatengruppe innerhalb der Eurogruppe ihren Kurs ungehindert fortsetzen können, wird das Europa zurückwerfen in den Zustand der Vorkriegszeit. Kleinere und wechselnde Staatenbündnisse werden sich bilden und ihre divergierenden Interessen u.a. auch militärisch abbilden. China , die USA und Russland werden diese Interessengegensätze im eigenen Interesse zu hebeln wissen.  

Darum ist es nun wichtig, jenen Kräften etwas Wirkungsmächtiges entgegen zu setzen, die glauben machen wollen, beim gegenwärtigen Konflikt handele es sich lediglich um die Erziehnungsmaßnahme an einem Verhaltensauffälligen, der an die Kandarre genommen werden muss.

Welche Rolle Deutschland dabei spielen  wird, hängt auch davon ab, ob seine LINKE endlich gewillt ist, die Welt nicht länger nur zu interpretieren.

Echte Verantwortung übernimmt die LINKE erst, wenn sie den Kampf um die Macht im Lande ernsthaft aufnimmt, mit allen Konsequenzen und dazu erforderlichen Bündnissen. Dafür muss sich niemand anbiedern. 

Sie werden assimiliert- Widerstand ist zwecklos

Es scheint in diesen Tagen gänzlich vergessen zu sein, was die griechischen Schwesterparteien von CDU und SPD in den letzten Jahrzehnten alles angestellt haben, um Griechenland so dermaßen in den Schlamassel zu reiten.
Herr Tsipras und Herr Varoufakis waren daran zwar nicht beteiligt, sind aber nach einem halben Jahr im Amt plötzlich die Hauptschuldigen für die griechische Misere. Das ist eine reife kommunikative Leistung der deutschen Medien. Respekt.
Wer bisher dachte, gleichlautende Berichterstattung in 90 % aller Beiträge gäbe es nur in Diktaturen, hat sich geirrt. Wer bisher dachte , die Freiheit der Medien diene der Kontrolle der Mächtigen und nicht ihrer Ermächtigung, hat sich ebenfalls geirrt.
Aber das ist nichts im Vergleich zu der Lektion, die ganz Europa gerade bekommt: Die europäische Integration ist demnach kein Wert mit übergeordneter politischer Bedeutung. Integriert werden sollen vorrangig die Märkte, Barrieren der Kapitalverwertung werden geschliffen, was ihr historisch, sozial und kulturell im Wege steht, wird eingeebnet.

Integration gibt es nur dort und nur solange, wie sie sich in die Strategien der großen Kapitalfraktionen einfügt.
Besonders Schlaue mögen das als altbekannt müde belächeln. Vielen anderen aber wird gerade eine wirkmächtige positive Vision eines geeinten Europa zerstoben, die sich aus freiheitlichen und aufklärerischen Traditionen speiste und der Idee folgte, daß ökonomisch bedingte Kriegsursachen durch die Integration der Volkswirtschaften ein für allemal beseitigt werden könnten. Nun lernen wir, daß dies eine Illusion gewesen sein mag. Gemeint war nicht Integration, sondern Assimilation.

Wen das an eine science fiction-Serie erinnert: – Wir sind die Borg. Sie werden assimiliert werden. Deaktivieren Sie Ihre Schutzschilde und ergeben Sie sich. Wir werden ihre biologischen und technologischen Charakteristika den unsrigen hinzufügen. Ihre Kultur wird sich anpassen und uns dienen. Widerstand ist zwecklos!- der erinnert sich richtig.-
Nur ist die Realität keine Leinwandprojektion. Griechenland leidet seit Jahren. Die neoliberale Operation ist nicht gelungen. Der Patient ist trotzdem fast tot.
Hat Syriza den Mund zu voll genommen ? War die Kampfansage an die Troika eine Rechnung, die ohne den Wirt gemacht wurde ? Gab es jemals eine berechtigte Hoffnung darauf, dass die linke Regierung einer überschuldeten Volkswirtschaft in Verhandlungen mit neoliberalen Regierungen, von deren Wohlwollen sie vollkommen abhängig ist, ihre Positionen durchsetzen könnte ?

Ja, es gab diese Hoffnung und sie war auch berechtigt. Denn Syriza wollte lediglich eine keynesianische Wende der Krisenbearbeitung. Umschuldung, Schuldenstreckung, Schuldenschnitt und Investitionen, um aus der Rezessionsspirale herauszukommen. Es sollte Wachstum und Nachfrage generiert werden, damit irgendwann einmal auch die verbliebenen Schulden abgetragen werden können. Das alles sollte geschehen, ohne dafür eine ganze Gesellschaft nahezu komplett zu verarmen. Nichts daran ist revolutionär. Nichts daran ist besonders forsch.
Waren die Syrizamänner zu forsch im Auftreten, fehlten vielleicht besonnene und kluge Frauen in der Führungsriege der Syriza ? War der Verhandlungsprozess zu testosterongesteuert ? Wenn Männer mit reichlich Sexappeal, wie er Tsipras und Varoufakis oft zugeschrieben wird, blässlichen und verwelkten Buchhaltertypen gegenübertreten, kann dies durchaus provokativ wirken und einer kompromissbereiten Haltung schaden. Der nicht zu gewinnende Schwanzlängenvergleich wird dann vielleicht mit dem Scheckheft pariert. Aber solche Banalitäten will man sich eigentlich nicht als relevante Größe in einem Verhandlungsprozess von solcher Tragweite vorstellen müssen.
Vielmehr möchte man sich vorstellen, es ginge um das beste makroökonomische Konzept zur Bewältigung der Krise, da säßen Fachleute am Tisch, die wissen, dass sie nur gewinnen können, wenn keiner verliert. Man möchte sich vorstellen, diese Leute verhalten sich politisch professionell und handelten zuerst als Europäer*innen. Man möchte sich vorstellen, dass das übliche mediale Geklingel, das öffentliche Aufplustern und Empören nur Teil einer Verhandlungsstrategie sind und hinter verschlossenen Türen keine Rolle mehr spielt.
Allein, der tatsächliche Verlauf der Verhandlungen ist allem Anschein nach von Anfang an ein hartes und unversöhnliches Ringen gewesen. Noch selten sind sich Partnerländer öffentlich so hart angegangen, ist so tief in die Kiste der Beleidigungen und Herabsetzungen gegriffen worden wie hier. Die demokratische Wahl der Griechen im Januar, die die Troikapolitik eindeutig abgewählt hat und einen anderen Auftrag erteilte, ist nie akzeptiert, nie als fundamentale Veränderung der Gesamtlage von den anderen Euroländern begriffen worden.
Einmal mehr wird das neue Paradigma der marktkonformen Demokratie durchgesetzt. In dieser Welt sind demokratische Entscheidungen, die sich gegen faktische ökonomische Machtkonstellationen richten, illegitim und erfordern das Einsetzen der ökonomischen Macht zur Disziplinierung des Souveräns, notfalls unter Einsatz eines Fiskalkrieges, der Griechenland aus dem Euroraum zwingt.
Eine EU aber , die nicht mehr verbindet, sondern spaltet, verspielt ihre Zukunft, auch ökonomisch.